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Widerstand

Widerstand nach Wohnungskündigungen: Der Einfluss von Ressourcen auf das Ausmass und die Art der Partizipation
Gian Grichting, Sophie Kappeler, Tim Dufner, Zora Zuliani, Juli 2024

Im Rahmen des Projekts «Stadt auf Zeit», das temporäre Wohnverhältnisse in Zürich untersucht, hat uns beschäftigt, wie und unter welchen Voraussetzungen sich Mieter*innen gegen Verdrängungsprozesse wehren. Welche Ressourcen von Mieter*innen beeinflussen das Ausmass und die Art der Partizipation am Widerstand gegen Wohnungskündigungen? Dabei verstehen wir unter Widerstand gegen Wohnungskündigungen alle Formen von Handlungen, die sich dieser Kündigung widersetzen oder ihr widersprechen, etwa rechtliche Anfechtungen, verschiedene Protestformen oder das Verweigern des Auszugs (Cheng et al. 2019). Ressourcen definieren wir induktiv am erhobenen Material. Durch diese Vorgehensweise konnten wir essenzielle Grundbedingungen für verschiedenen Widerstandsformen erschliessen: Zeit, finanzielle Ressourcen, sprachliche Kenntnisse, Vertrautheit mit dem Schweizer Rechtssystem, Vernetzung und Partizipationserfahrung haben sich als essenzielle Ressourcen ergeben.
Wir fokussieren unsere Arbeit auf Schwamendingen, wo durch den geplanten Abriss der Siedlungen Grosswies und Roswiesen ungefähr 500 Bewohner:innen durch Kündigungen in ein temporäres Mietverhältnis gerieten. Dieser Blogpost basiert auf einer teilnehmenden Beobachtung an der Demonstration vom 06. April 2024 gegen den Abriss der beiden Wohnsiedlungen und auf vier Interviews mit betroffenen Mieter:innen.

Ressourcen

Die Ressourcen von betroffenen Mieter:innen in gekündigten Mietverhältnissen haben einen direkten Einfluss auf die Art und das Ausmass des Widerstands gegen Wohnungskündigungen. Da die wesentlichen Ressourcen der betroffenen Mieter*innen begrenzt sind – so unsere These – bleibt deren Widerstand beschränkt, was die Wohnungskrise wiederum entscheidend beeinflusst.


In den Interviews zeigte sich, dass zunächst die Ressource Zeit zentral ist, da Zeitknappheit die Möglichkeiten zur Teilnahme am Widerstand einschränkt. Zeit zu haben, um sich zu wehren, ist ein Privileg, das nicht allen gegeben ist. Denn die frei verfügbare Zeit von Menschen in gesellschaftlich marginalisierter Stellung ist oft eingeschränkt, beispielsweise aufgrund von mehreren simultan ausgeübten Anstellungen. Finanzielle Ressourcen können die Partizipation an Widerstand sowohl fördern also auch schmälern: Gerade rechtliche Schritte, wie Einsprachen, sind oft mit hohen finanziellen Kosten, etwa für Anwaltskosten, verbunden. In solchen Fällen bieten freiwillige juristische Unterstützungsangebote betroffenen Mieter*innen wichtige Hilfestellungen. Auch Grundkenntnisse über Rechte und Prozesse im Schweizer Wohnungssystems sind förderlich für die Partizipation am Widerstand.


Zudem sind Sprachkenntnisse eine entscheidende Ressource für den Zugang zu Informationen und die Animation zur Partizipation an Widerstand. Menschen, die in Zürich keinen Zugang zur deutschen Sprache haben, bleiben wichtige Informationen zu ihrer Situation sowie gewisse Möglichkeiten zur Vernetzung verwehrt. Auch die Möglichkeit sich an praktischen Widerstandsformen, wie dem Schreiben von Briefen an Verwaltungen oder andere Institutionen, zu beteiligen, ist stark eingeschränkt. Die sprachliche Ressource ist eng mit der Vertrautheit des Schweizer Rechtssystems verbunden, da dieses ebenfalls mit sprachlichen Barrieren verbunden ist. In Schwamendingen, wo viele Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen und mit verschiedenen soziokulturellen Hintergründen leben, wovon viele aufgrund sprachlicher oder anderer Barrieren keine oder eigeschränkte Kenntnis über die Funktionsweise des schweizerischen Systems haben, stellt dies ein Hindernis für Widerstand dar.

Des weiteren können frühere Partizipationserfahrungen einer Person als Ressource verstanden werden, die sich auf den getätigten Widerstand auswirkt. Betroffene Mieter*innen, die ursprünglich aus Gebieten kommen, wo die Beteiligung an Praktiken des Widerstands stark sanktioniert wird, nehmen deshalb vermehrfacht auch in der Schweiz nicht am öffentlich sichtbaren Widerstand teil. An der in Schwamendingen beobachteten Demonstration fehlten vor allem Menschen mit Herkünften aus Gebieten, so einer unserer Interviewteilnehmer, in denen ihnen im Fall einer Ausweisung mögliche politische Verfolgung drohen würde:

"Das Ganze sah auf der Demonstration ein bisschen seltsam aus, dass so wenig Mieter da waren, aber das ist klar. (…) Wenn die aus unserem Kriegsgebiet komm(t) oder von anderswo, geflüchtet (ist), dann geht man nicht auf die politische Demonstration. Aber intern haben wir uns alle vorher abgesprochen. Wir haben mit den ganzen Nachbarn gesprochen."


Nach gehäuften Wohnungskündigungen war in unserer Studie ein verstärkter Zusammenhalt im Quartier beobachtbar. Das Schicksal in einer Siedlung oder in einem Quartier zu teilen, kann verbindend wirken und die Widerstandsmoral stärken, da nachbarschaftliche Kontakte das Gefühl der Ratlosigkeit oder allein dazustehen vermindern können. Es muss angemerkt werden, dass die Nachbarschaftsverhältnisse in Schwamendingen gemäss den Bewohnenden bereits vor den Wohnungskündigungen angenehm und unterstützend gewesen waren, sich dies aber seit den Kündigungen nochmals verstärkt hat. Die Vernetzung nimmt einen örtlichen Charakter an, so kann das GZ Hirzenbach, wo man sich austauscht und Widerstand geplant und organisiert wird, durchaus als Ressource der Vernetzung in den Quartieren betrachtet werden. Nicht-kommerzielle städtische Treffpunkte sind für betroffene Mieter*innen besonders wertvoll, da sie Zugang zu Informationen gewährleisten und somit zur Partizipation am Widerstand einladen. Auch andere Netzwerke im Quartier, wie die Nachbarschaftshilfe, die hilfsbedürftige Personen in unterschiedlichsten Lebensbereichen unterstützt, oder der gemeinsame WhatsApp Gruppenchat für den Austausch und das Bereitstellen von Informationen sind wertvolle Ressourcen für den Widerstand in Schwamendingen.

Formen des Widerstands


Die Vorstellungen von Widerstand und was damit erreicht werden soll, sind sehr unterschiedlich und individuell. Zwar verbindet die gemeinsame Situation und man unterstützt sich in Schwamendingen gegenseitig und leistet zusammen Widerstand, gleichzeitig bemühen sich die Betroffenen auch individuell, um ihre Situation zu verbessern. Die Notwendigkeit nach individueller Sicherung von Wohnraum hat eine stärkere Gewichtung bei den Mietenden als kollektiver Widerstand. Letztendlich brauchen alle nach Ablauf der Kündigungsfrist einen neuen Ort zum Leben. Die Ziele gehen von einer Verlängerung des Mietvertrags bis hin zur Enteignung von der Immobilienbesitzenden. Ein gemeinsames Ziel des Widerstands in Schwamendingen gegen Wohnungskündigungen kann jedoch klar identifiziert werden, nämlich der Wunsch nach Wohnungssicherheit und bezahlbarem Wohnraum. Aktives Handeln zur Erreichung dieser Ziele, wie die Teilnahme an Kundgebungen, das Schreiben kollektiver Briefe, das Erheben einer Einsprache, wird von den Mietenden selbst oft nicht als Widerstand wahrgenommen. Die Wahrnehmung von Widerstand unterscheidet sich also vom effektiv getätigten Widerstand. Die Mieter*innen distanzieren sich oft von politisch und ideologisch aufgeladenem Widerstand und wehren sich vielmehr für eine bessere Situation in dem Quartier und auf individueller Ebene. Viele Betroffene in Schwamendingen nehmen die Situation als aussichtslos wahr und nehmen ihr Schicksal hin, versuchen aber dennoch durch angesprochene Formen des Widerstands ihr Mögliches, um Aussicht auf Wohnraum zu erhalten.


Reflexion und Ausblick

Diese Erkenntnisse decken sich mit ähnlichen Studien in anderen Städten. So stellen Künstler & Schipper (2019) in ihrer Forschung in Frankfurt fest, dass marginalisierte Personen, die von Modernisierungsmassnahmen und Mieterhöhungen betroffen sind, selten Widerstand leisten. Dabei heben die Autoren hervor, dass kollektiver Widerstand durch die Heterogenität der soziokulturellen Hintergründe, Sprachbarrieren, Zukunftsängste und schwach ausgebildete soziale Netzwerke erschwert wird. Es wird hervorgehoben, dass die Vernetzung der Betroffenen von hoher Bedeutung für den Widerstand ist und dass hierbei Unterstützungsangebote, beispielsweise durch die Soziale Arbeit, essenziell sind. Zudem verweisen sie auf die Bedeutung von gemeinschaftlichen Räumen, Initiativen die das Gemeinschaftsgefühl stärken, Rechtsaufklärungen, sowie verschiedenen Konfliktlösungsstrategien, welche wesentlich zur Bildung von kollektivem Widerstand beitragen. Auch wenn diese Erkenntnisse in einem anderen Kontext entstanden sind, bestärken sie uns in unserem Fazit, dass die Ressourcen Zeit, finanzielle Ressourcen, sprachliche Kenntnisse, Vertrautheit mit dem Schweizer Rechtssystem, Vernetzung und Partizipationserfahrung den Widerstand von durch Wohnungskündigungen betroffenen Personen beschränken. Zugang zu diesen beschränkten Ressourcen ist daher essenziell.

Wir konnten verschiedene Ressourcen aufzeigen, die Möglichkeiten und Formen von Widerstand beeinflussen. Wir konnten jedoch nicht klar zeigen, welche Ressourcen für welche Formen des Widerstandes von Bedeutung sind. Dies zu erforschen kann dabei helfen, Interventionen und Unterstützung des Widerstandes entsprechend anzupassen. Insofern gliedern sich die gefundenen Ergebnisse als Puzzlestück in ein grösseres Bild, das weitere Forschungsfragen aufwirft: Sind weitere Ressourcen relevant, die zum Beispiel mit Formen des Widerstands in Verbindung stehen, die wir nicht untersucht haben?¹ Was sind die Ziele der Widerstandleistenden und welche Widerstandsformen sind für das Erreichen dieser Ziele hilfreich? Wie können die genannten Hindernisse überwunden werden?
 

1 Wir haben unsere Interviewpartner:innen alle an der Demonstration kennengelernt. Entsprechend wurden keine Bewohnenden interviewt, die andere Formen von Widerstand leisteten.

▲ Abbildung 1: Eindrücke der «Schwamendingen bleibt!» Kundgebung vom 06. April 2024 (Quelle: Sophie Kappeler)

Literaturverzeichnis

  • Cheng, T. C. F., Wang, T. C., & Zhu, J. D. (2019). Effects of Information on Risk Perception: Empirical Evidence from Housing Market in Taiwan.

  • Künstler, F., & Schipper, S. (2021). Prekäre Wohnverhältnisse, Verdrängungsdruck und die Entstehung politischer Kollektivität in Frankfurt Westhausen. Soziale Passagen, 13(2), 273–292. https://doi.org/10.1007/s12592-021-00393-2.

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